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Gaius Valerius Catullus
Catull's Feder

Carmen 5 - Vivamus, mea Lesbia, atque amemus

Hier wird Catulls "Carmen 5" mit Vokabelhilfen, Übersetzung, Versmaß & Stilmittel und Interpretation zur Verfügung gestellt.




I. Lateinischer Text

Vivamus, mea Lesbia, atque amemus
Rumoresque senum severiorum
Omnes unius aestimemus assis !

Soles occidere et redire possunt:
Nobis cum semel occidit brevis lux,
Nox est perpetua una dormienda.

Da mi basia mille, deinde centum,
dein mille altera, dein secunda centum,
deinde usque altera mille, deinde centum.

Dein, cum milia multa fecerimus,
conturbabimus illa, ne sciamus
aut ne quis malus invidere possit,
cum tantum sciat esse basiorum.


Weitere Angaben / Hilfestellungen

Vers 3:     unius aestimemus = eine Pfennig wertschätzen
Vers 6:     est.dormienda → Gerundivum + esse → "müssen"
Vers 12 :  ne quis malus : wörtl. : nicht irgendein schlechter
                                       oder   : kein Schlechter

Satzbauhilfen

Vers 3: aestimemus assis: genitivus pretii
Vers 5 : nobis cum semel occidit brevis lux : cum an 2. Position → Inversion
Vers 12: quis = aliquis

Sacherklärungen

as = der As (Römische Münzeinheit zur Zeit Catulls als Kupfermünze; 1 As ? 5 Pfennig)
dormire noctem = heißt wörtl.: eine Nacht schlafen → verdeutlicht den Tod




II. Übersetzung

(Text aufdecken / Text zudecken)

Lass uns leben, meine Lesbia, und lieben
und das ganze Gerede der allzustrengen alten
Leuten einen Pfennig wertschätzen !

Sonnen können untergehen und aufgehen:
wenn uns einmal das kurze Licht ausgeht,
müssen wir eine ewige Nacht schlafen.

Gib mir 1000 Küsse, darauf 100,
dann 1000 weitere, ein zweites 100,
dann in einem fort 1000 weitere und darauf 100.

Dann, wenn wir viele tausende ausgetauscht (gemacht) haben,
werden wir jene durcheinander bringen, damit wir es nicht wissen
oder kein Schlechter auf uns neidisch sein kann,
weil er weiß, dass es sehr viele der Küsse sind.




III. Versmaß und Stilmittel

"Versmaß: Hendekasasyllabus"

1.Abschnitt: - Polysyndeton:
      Vers 1/2: Vivamus atque amemus . -que . aestimemus.
1.Abschnitt :- Heudiadyoin:
      Vers 1: Vivamus atque amemus... " Lass uns ein Leben in Liebe führen "
                  3x Konj. Präsens in eine Satz : Vers 1-3: vivamus, amemus, aestimemus
2.Abschnitt: - Antithese:
      Vers 4: . occidere . redire.
      Vers 5/6: . lux, nox .
3.Abschnitt: - Anapher:
      Vers 7-9: deinde . deinde . dein .
      Vers 7-9: centum (am Versende)
      Vers 7-9: mille




IV. Interpretation

Gliederung

In 4 Teile geteilt:
Vers 1-3:      Aufforderung zum Lebensgenuss → Liebe
Vers 4-6:      Unterschied zwischen ewigem Leben des Kosmus und der Vergänglichkeit des Menschen
Vers 7-9:      Aufforderung zum Genuss des Lebens durch Küsse
Vers 10-13:  Aufforderung zum Vergessen und Verschleihern um die Arroganz und den Neid anderer zu meide Neid anderer zu meiden


Intertextuelle Referenzen

Carmen 5 ist das erste der beiden Kuss-Gedichte von Catull. Der Vergleich zwischen Carmen 5 und Carmen 7:

  Carmen 5:
     - da mi basia mille (Vers 7)  

  Carmen 7:
     - quod mihi basiationes (Vers 1)  
     - tam te basia multa basiare (Vers 9)  

  Carmen 5:
     - nox est perpetua una dormienda (Vers 6)  

  Carmen 7:
     - cum tacet nox (Vers 7)  

 → symbolisch: lux - nox = Leben - Tod   

 → wörtlich: nox = Nacht  



Versuch einer Gesamteutung des Gedichtes

Am Anfang des Gedichtes fordert Catull seine Lesbia dazu auf einander zu lieben,
egal was die Leute denken. Später widerspricht er sich jedoch indem er die Liebe vertuschen möchte,
damit niemand schlecht redet (ne quis malus invidere possit (Vers 12)).
Die nächsten Verse lasse sich zweierlei interpretieren:
Einerseits könnten sie bedeuten, dass er die Küsse aus dem Grund zählt,
weil er nicht genug bekommen kann und geradezu besessen von Lesbia ist.
Andererseits könnte man auch sagen, dass er die Küsse zählt,
weil sie für ihn nur noch Qual und nicht mehr vergnügen sind.
Liebe bedeutet doch, sich im Kusstaumel zu verlieren und nicht mehr zu zählen.
Das Gedicht Beschäftigt sich mit der Vergänglich keit des Menschen. Gerade durch das Bewusstsein,
dass das Leben kurz und unwiederbringlich ist und, dass seine Beziehung zu Lesbia von vielen Seiten missgünstig beäugt wird,
steigert Catull sein augenblickliches Glück und seinen Wunsch, es voll auszukosten.